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Die Sache mit Christoph. Jugendbuchempfehlung

Irina Korschunow:

Die Sache mit Christoph

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Irina Korschunow: Die Sache mit Christoph. München: dtv junior, 2004, 160 S.
  • Lesestufe: 8. Klasse

2. Inhaltsangabe

Der Roman beginnt mit der Beerdigung des 17-jährigen Christoph. An diesem Tag fängt sein Freund Martin an, auf die gemeinsame Zeit zurückzublicken. Über Martins gesamten Überlegungen schwebt die Frage, ob Christoph Opfer eines Verkehrsunfalls geworden ist oder sich selbst umgebracht hat. In Erinnerungen und Rückblenden erfährt der Leser Folgendes: Acht Monate zuvor ist Christoph neu in die Oberstufenklasse in Oberried, einer Kleinstadt, gekommen. Er scheint sich in seiner neuen Umgebung nicht wohlzufühlen, die Klasse bleibt ihm fremd und mit den Lehrern, besonders mit dem Lateinlehrer Morgenfeld, hat er große Probleme. Auch seine Eltern bieten Christoph keinen Halt: Sein Vater hat zu hohe Erwartungen an den Sohn und seine Mutter steht bei den zahlreichen Konflikten nur ratlos zwischen den beiden. Aber nicht nur die äußeren Faktoren quälen Christoph, auch innerlich scheint ihm jede Kraft zu fehlen. Er gibt sich immer wieder selbstsüchtig seinen Sinnlosigkeitsgefühlen hin, lässt sich nicht helfen, seine Freundin Ulrike und Martin nicht an sich herankommen. Er nimmt nur sein eigenes Leiden wahr. Diese zwei Ebenen von Christophs Problemen werden durch Martins Erinnerungen und durch das ebenfalls aus Martins Sicht geschilderte weitere Geschehen – die einsetzende Verarbeitung – für den Leser im Verlauf der Handlung immer deutlicher.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Irina Korschunow wurde 1925 als Tochter einer deutsch-russischen Familie in Stendal geboren, studierte Germanistik in Göttingen und lebt heute in der Umgebung von München. Sie schreibt für völlig unterschiedliche Zielgruppen, so dass eine Einordnung in eine Kategorie nur schwer möglich ist. Über ihr Selbstverständnis sagt sie: „Autorin, ganz einfach Autorin“. Zunächst wurde Irina Korschunow durch ihre Kinderbücher bekannt. Hier sind besonders die Wawuschel-Bände, ihre erfolgreichsten Erstlesetexte, zu nennen. In den weiterführenden Schulen gehören ihre Jugendbücher mittlerweile zur etablierten Schullektüre. Er hieß Jan, das von einer gefährlichen Liebe im Zweiten Weltkrieg handelt, wurde u. a. in die Auswahlliste des Deutschen Jugendbuchpreises aufgenommen. Auch Die Sache mit Christoph (1978) wurde für diesen Preis nominiert und zudem mit der Silbernen Feder des Deutschen Ärztinnenbundes ausgezeichnet. Mittlerweile hat sich Irina Korschunow mit Romanen für Erwachsene hervorgetan, gleichzeitig schreibt sie auch Erzählungen, Drehbücher und Fernsehfilme. Für ihr Gesamtwerk erhielt sie die Roswitha-Gedenkmedaille, den Literaturpreis der Stadt Gandersheim.


4. Allgemeine Einordnung

Die Sache mit Christoph eignet sich aus verschiedenen Gründen für den Einsatz im Deutschunterricht der 8. Klasse: Der schreckliche Ausgang von Christophs Geschichte, der gleich am Anfang des Buches genannt wird („Heute haben wir Christoph begraben.“, S. 5), erschreckt die Schüler – wie konnte das passieren? – und macht sie neugierig, sich mit der Lebensgeschichte von Christoph, d. h. seinen sozialen und individuellen Problemen, zu beschäftigen. Auch das Identifikationspotential motviert zum Weiterlesen und Diskutieren: Fast alle Jugendlichen kennen Auseinandersetzungen mit Eltern und Lehrern sowie Fallbeispiele eines Außenseiters. Bei der Auseinandersetzung mit der Lektüre entwickeln die Schüler eine größere Offenheit gegenüber Ausgegrenzten, weil ihnen deutlich wird, dass deren Verhalten von vielen Ursachen beeinflusst wird, die den Mitschülern oft unbekannt sind. Für den Unterricht bietet das Buch zahlreiche unterschiedliche Ansätze: Die Gesellschaftskritik, die Christoph immer wieder formuliert, kann thematisiert und z. B. das Verhalten der Dorfbewohner untersucht werden. Oder man wählt Christophs Persönlichkeit als Schwerpunkt: Er zeigt sich immer wieder selbstsüchtig und macht keinerlei Versuche, die Bedürfnisse seiner Mitmenschen zu verstehen. Die Schüler interessieren sich aber auch für Christophs Verhältnis zu Martin und Ulrike: Wie viel Zurückweisung muss man in einer Beziehung oder Freundschaft ertragen können? Was hat die beiden immer wieder an Christoph gebunden? Hätten Martin und Ulrike sich anders verhalten können/sollen? Möglicherweise fächerübergreifend mit dem Religions- oder Ethikunterricht muss man sich bei der Lektüre auch mit dem Thema Suizid beschäftigen. Christophs Selbstmord bewegt die Schüler schon nach den ersten Leseeindrücken und lässt sie über folgende Fragen nachdenken: Welche anderen Auswege hätte es für Christoph geben können? Darf man seine Freunde und Angehörigen mit Schuldgefühlen und einer solchen Trauer zurücklassen? Wieso konnte Christoph von Martin und Ulrike keine Hilfe annehmen? Im Deutschunterricht kann Die Sache mit Christoph aber auch der Einstieg in eine Sequenz sein, die sich mit dem Verhältnis von Schülern zu Schule und Gesellschaft auseinandersetzt. Es gibt zahlreiche themengleiche Lektüren (Unterm Rad von Hermann Hesse, Die Leiden des jungen Werther von Johann W. Goethe, Die Verwirrungen des Zöglings Törless von Robert Musil, Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf), die für die 8. Klasse allerdings noch ungeeignet sind. Insofern kann man in einer späteren Jahrgangsstufe entweder auf die Ergebnisse des „Falles Christoph“ aufbauen oder auch dieses Buch erst später lesen.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Die Sache mit Christoph umfasst 160 Seiten, die in 12 Kapitel unterteilt sind. Der Ich-Erzähler Martin berichtet von zwei Tagen kurz nach Christophs Tod an einem Montag: Donnerstag, dem Tag von Christophs Beerdigung, und Freitag, an dem Martin zum ersten Mal seit dem Unfall wieder zur Schule geht. In diese Geschehnisse werden zahlreiche Rückblenden auf die Monate, die Martin mit seinem Freund verbracht hat, eingeflochten. Er erinnert sich z. B. an den Tag, an dem Christoph in der Schule vorgestellt worden ist, den gemeinsamen Ausflug in den Pfingstferien nach Wien, die Beziehung zwischen Christoph und Ulrike, die Sommerferien, die die drei gemeinsam zu Hause verbracht haben, Christophs Ärger mit Mitschülern und Lehrern, seinen Versuch von daheim abzuhauen und schließlich an den Verkehrsunfall, bei dem Martin direkter Zeuge gewesen ist. Dabei wird nicht chronologisch erzählt, der Leser muss die Erinnerungen selbst wie ein Puzzle zusammensetzen, so dass nach und nach ein Bild der Freundschaft zwischen Martin und Christoph entsteht. Die Sprache der Erzählung ist sehr verständlich und eingängig, sie dürfte den Schülern keinerlei Schwierigkeiten machen. Durch die Erzählperspektive identifizieren sich die Schüler zunächst sehr stark mit Martins Sichtweise. Dies kann im Unterricht aufgebrochen werden, indem man verschiedene Situationen (z. B. den Streit um die Klassenfahrt nach Berlin, S. 79 f.) aus der Perspektive einer anderen Person (hier: der Mitschüler) schreiben lässt.

6. Didaktische Anregungen

Unterrichtseinstiege
Zumeist zeigen sich die Schüler vom Schicksal Christophs sehr bewegt und erkennen eigene Probleme (mit Eltern und Lehrern) in der Figur wieder. Oder sie stellen fest, dass sie sich selbst einem Außenseiter gegenüber schon häufiger verhalten haben wie die „Meute“, wie Christoph seine Klassenkameraden, die im Kollektiv gegen ihn stehen, bezeichnet. Diesen subjektiven Eindrücken zur Erzählung sollte Raum gegeben werden. Dies kann z. B. über eine Kartenabfrage erfolgen: Jeder Schüler erhält drei verschiedenfarbige Karten, auf denen er stichwortartig notieren soll: Was habe ich als positiv empfunden? Was als negativ? Welchen Fragen und Themen möchte ich genauer nachgehen? Die Karten werden dann entweder in der gesamten Klasse oder in Gruppen inhaltlich sortiert und auf ein Plakat geklebt. Die gewünschten Fragestellungen sollten dabei auch in einer sinnvollen Reihenfolge angeordnet werden. Alternativ kann man zur Klärung des Vorverständnisses ein Schreibgespräch durchführen, bei dem die Schüler zunächst nur schriftlich miteinander kommunizieren. Die Arbeit erfolgt in Gruppen von maximal vier Schülern, die jeweils dicke Filzstifte unterschiedlicher Farbe und ein großes Plakat, in dessen Mitte Die Sache mit Christoph steht, erhalten. Zunächst formulieren die Schüler in absoluter Stille etwa 5–10 Minuten lang ihre eigenen Leseeindrücke auf das Plakat. Dann treten die Gruppenmitglieder in einen stummen (!) Dialog, indem sie ca. 15 Minuten lang die Niederschriften auf dem Plakat kommentieren. Abschließend sollen sie ihre Ergebnisse besprechen und eine kurze Präsentation für die gesamte Klasse vorbereiten (Welcher Aspekt ist bei uns besonders umstritten gewesen? Was haben alle gleich empfunden?). Die Plakate werden in der Klasse ausgehängt und bei einem Rundgang jeweils von der Gruppe, die sie erstellt hat, erläutert. In dieser Phase kann der Lehrer Fragestellungen, die die Schüler wichtig finden, notieren. Um einen besseren Überblick über die Handlung zu bekommen und besonders die Rückblenden zuordnen zu können, ist es nun sinnvoll, eine Zeitleiste anzulegen. Die Schüler lesen arbeitsteilig nochmals ein bis zwei Kapitel und ordnen die Ereignisse ihrer Kapitel in ein vorgegebenes Zeitraster von Januar (erste Begegnung zwischen Christoph und Martin) bis September (Christophs Tod und die fünf Tage danach) ein. Dies wird dann als Tafelbild oder Folie zusammengetragen. Gleichzeitig kann auch eine Übersicht über die Personen, die in Christophs Leben eine Rolle gespielt haben, erstellt werden.


Weitere Unterrichtsbausteine
Zentral in der Unterrichtseinheit muss sicherlich die Frage sein, die Ulrike beim gemeinsamen Spaziergang mit Martin stellt und die auch die Klasse spontan als Reaktion auf den Text äußert: „Warum musste er so sein?“ (S. 153) Man kann ihr methodisch ganz unterschiedlich nachgehen. Die Schüler können als Reporter mit den beteiligten Personen Interviews führen, um herauszufinden, was Christoph zu seinem offensichtlichen Selbstmord bewogen hat. Alternativ erstellen sie Christophs Tagebuch: Jeder Schüler schreibt zu einem Zeitpunkt auf dem erstellten Zeitraster (s. o.) einen Eintrag, der dann in Gruppen oder in der Klasse kritisch besprochen wird (Würde Christoph wirklich so schreiben, denken, fühlen?). Ein ganz anderes Szenario, das der Frage nachgeht, wie es zu Christophs Tod kommen konnte, ist die Vorbereitung einer Gerichtsverhandlung. Die Klasse muss zunächst festlegen, wer angeklagt werden soll, eine Mitschuld an Christophs Tod zu haben. Die Angeklagten treten dann in der Verhandlung mit Anwälten auf, die Plädoyers für ihre Mandanten halten. Die anderen Schüler werden zu Zeugen (alle im Text relevanten Personen sagen aus), Richtern (diese Rolle muss mit mindestens zwei Schülern besetzt werden, da sie eine moderierende Funktion in der Verhandlung haben) und Staatsanwälten, die wiederum Plädoyers vorbereiten müssen. Es kann auch ein Jugendpsychologe zu Christophs Zustand befragt werden (entweder geht man davon aus, dass er lange mit Martin und Ulrike gesprochen hat oder Christoph noch vor seinem Tod von seinen Eltern zu Therapiesitzungen geschickt worden ist); diese Rolle sollte von zwei Schülern übernommen werden, da sie sehr viel Textarbeit erfordert. Die Verhandlung verlangt eine sehr genaue Vorbereitung, die z. B. in Form einer Verhandlungsakte dokumentiert und für alle Schüler kopiert werden könnte. Im Anschluss an die Gerichtsverhandlung bietet es sich an, die Buchbesprechung mit der Aufsatzform der Personencharakteristik zu verbinden, da zahlreiche Personen von der Autorin sehr genau gezeichnet werden. Christoph zu charakterisieren, stellt sicherlich wegen des Textumfangs eine Überforderung dar, geeignet sind eher der Lateinlehrer Morgenfeld, der Mathematiklehrer Mayer und Christophs Vater. Die Schüler haben natürlich sehr viele persönliche Erfahrungen mit Lehrern; man läuft bei der Charakterisierung der beiden Lehrer daher leicht Gefahr, einen Austausch von Geschichten über Kollegen und deren Verhalten im Unterricht auszulösen. Dies kann man durch einen sehr engen Textbezug und konkrete Aufgabenstellungen vermeiden. Einen interessanten Schreibanlass bietet z. B. folgende Äußerung des Mathematiklehrers: „Im Lehrerzimmer haben sie erzählt, dass du [Martin] ihn [Christoph] gefunden hast“ (S. 136). Die Schüler sollen paarweise ein Gespräch zwischen dem Mathematiklehrer und dem Lateinlehrer über Christoph schreiben, das im Lehrerzimmer zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hat, und anschließend einige der Dialoge vortragen. Interessant wären auch innere Monologe des Mathematiklehrers während seiner Unterhaltung mit Martin oder ein Gespräch, in dem er seiner Freundin Monika erklärt, warum er sich mit Martin treffen will. Ein völlig anderer Ansatz, das Verhältnis von Schülern und Lehrern zu thematisieren, ist das Aufhängen zweier (oder bei Gruppenarbeit mehrerer) Körperumrisse mit den Überschriften „Der ideale Schüler“ und „Der ideale Lehrer“. Die Schüler dürfen (in Gruppen) ihre Erwartungen an einen Lehrer bzw. die der Lehrer an einen Schüler aufschreiben: Was soll er im Kopf haben? Was soll er im Herzen tragen? Wohin soll er mitgehen? Wo darf er seine Finger im Spiel haben? Wo sollte er sie besser herauslassen? … Die Antworten werden jeweils an die entsprechenden Körperteile des Umrisses geschrieben, die Ergebnisse zur Diskussion gestellt und wieder auf den Text bezogen. Diese Methode bietet sich besonders dann an, wenn der Deutschlehrer auch Klassenlehrer ist. Aufgegriffen werden kann auch die Darstellung des Dorfes und ihrer Bewohner; besonders die Episode um die Landstreicher (die verdächtigt werden, Christoph ermordet zu haben, als dieser verschwunden ist) kann als Parallelhandlung zu Christophs Schicksal verstanden werden (Außenseiter, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen können, gehen schuldlos unter). Vor allem die Mädchen zeigen oft großes Interesse daran, die Beziehung zwischen Ulrike und Christoph näher zu untersuchen. Dies kann über Briefe geschehen, die Ulrike an ihren Freund schreibt, zum Beispiel nach dem Streit in der Klasse wegen der Berlinfahrt (S. 81), zu ihren verzweifelten Versuchen, für Christoph da zu sein (sie fährt nicht in Urlaub, um in seiner Nähe zu sein, S. 145), oder über ihre Enttäuschung, als sie vermutet, schwanger zu sein, und Christoph einfach verschwindet (S. 154). Mithilfe dieser Briefe wird den Schülern nochmals sehr deutlich, dass der Druck, der von außen auf Christoph ausgeübt worden ist, keine ausreichende Erklärung für den möglichen Selbstmord sein kann, sondern auch Christophs Persönlichkeit einbezogen werden muss. Hier bietet auch Martins Aussage „Ich dachte nur, er müsste glücklich sein. Und dass ich es wäre an seiner Stelle.“ (S. 148) einen Ausgangspunkt für eine Diskussion bzw. schriftliche kritische Stellungnahme (mögliche Klassenarbeitsaufgabe). Abschließend sollte Martins Abnabelungsprozess – er befreit sich immer mehr von Christophs Einfluss, gleichzeitig wächst seine Beziehung zu Ulrike – anhand einiger zentraler Textstellen thematisiert werden:

  • „Nur den kleinen Finger, das hätte gereicht. Aber er tat es nicht. Er tat überhaupt nichts.“ (S. 77)
  • „Er mit seinem Anspruch auf absolute Vollkommenheit.“ (S. 78)
  • „Aber hatte er Recht gehabt?“ (S. 82)
  • „Aber vielleicht würde er es gar nicht hören wollen.“ (S. 159)
  • „Ich hätte sie gern gestreichelt“ (S. 155).

Zum Abschluss kann dann der symbolisch gemeinte letzte Satz („Ich drehte mich um und ging.“, S. 159) analysiert werden.


empfohlen von Christiane Althoff