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Hechtsommer. Jugendbuchempfehlungen

Jutta Richter:

Hechtsommer

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Jutta Richter: Hechtsommer. München: dtv, 2006, 144 S.
  • Lesestufe: 6.–8. Klasse


2. Inhaltsangabe


„Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“ könnte das Motto des Romans Hechtsommer von Jutta Richter sein. Denn in diesem heißen, langen Sommer, der der letzte ihrer Kindheit sein wird, fällt ein dunkler Schatten auf den Hof der „Schlosskinder“. Daniel, Lukas und die Ich-Erzählerin Anna wohnen mit ihren beiden Familien in einer Schlossanlage. Gisela, die Mutter von Daniel und Lukas, arbeitet für den Schlossverwalter und schaut gewöhnlich den Kindern beim Spielen zu. Doch in diesem Sommer ist Gisela plötzlich „krankgeschrieben“. Was das heißt, lernen die Kinder schnell: Zuerst kann Gisela nicht mehr zum Arbeiten ins Büro gehen, dann winkt sie den Kindern nicht mehr über den Hof zu. Und bald liegt sie nur noch im Bett und hat nicht einmal mehr die Kraft zu schimpfen, wenn ihre Söhne im Schlossgraben des Grafen wieder heimlich Rotfedern geangelt haben. Je mehr die Mutter aus dem direkten Blickfeld der Kinder verschwindet, umso mehr entgleitet diesen auch ihr bisheriger, kindlicher Alltag, der bis zu Giselas Krankheit ihre Realität gewesen ist. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, dass sie als Schlosskinder sowohl von den Bauern- als auch den Dorfkindern gemieden werden und Anna sich eine Freundin wünscht. Es spielt keine Rolle mehr, ob sie pünktlich zum Essen kommen oder ob die Jungen nach Fisch stinken. „Wenn ich könnte, würde ich Mama gesundschreiben“, sagt Daniel und versteht nicht wirklich, warum die Ärzte das nicht schon lange gemacht haben. Die Erwachsenen lassen die Kinder mit ihren Ängsten aus falscher Rücksichtnahme oder Überforderung allein. Annas Mutter übertüncht die bedrückte Stimmung mit gespielter Fröhlichkeit; sie kocht für die Kinder, geht mit ihnen Eis essen und holt den Grill aus dem Keller. Daniels und Lukas’ Vater zieht sich dagegen zurück und kommt jeden Abend noch später von der Arbeit nach Hause. Annas Vater hat sich sowieso schon vor Jahren aus der Verantwortung gestohlen und ihr nichts weiter als einen Sternenhimmel aus Kunststoff und ein paar weise Sprüche hinterlassen. Jetzt vermisst Anna ihren Vater umso mehr, als ihre Mutter ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihr hat. Sie hatte sich immer einen Jungen gewünscht. Gisela dagegen wollte lieber ein Mädchen haben und hat in Anna einen Ersatz gefunden. Aber jetzt ist Gisela krank und es ist absehbar, dass sie Anna nie wieder in den Arm nehmen und „mein Mädchen“ sagen wird. So sich selbst überlassen, reimen sich die Kinder ihre eigene Krankengeschichte zusammen. Irgendwie, so vermuten sie, hat Giselas Krankheit mit ihnen selbst und den Tieren des Schlosshofs zu tun. Denn im Sommer zuvor, als Gisela zum ersten Mal im Krankenhaus gewesen ist, hat das Pfauenweibchen wegen der Kinder seinen Fuß verloren. Sie hatten verbotenerweise Angelschnüre ausgelegt und das Tier hatte sich darin verheddert. Diesen Sommer scheint der riesige Hecht am Grund des Schlossgrabens irgendetwas mit der Krankheit der Mutter zu tun zu haben. Daniel hält ihn nämlich für einen Gott. Wenn es ihm gelingt, diesen Hechtgott zu fangen und zu töten, so Daniel, wird seine Mutter wieder gesund werden. An den Menschengott glaubt er ohnehin nicht mehr, seit er gesehen hat, dass Gisela eine Glatze bekommt und ein Junge im Schulbus verkündet hat: „Meine Mama hat gesagt, seine Mama geht bald tot!“ Den Hechtgott aber muss es einfach geben, denn wenn es gar keinen Gott in dieser Welt gibt, macht das Leben keinen Sinn mehr. Aus Angst, dass er doch nicht recht hat, zögert Daniel den Fang aber immer weiter hinaus und übt mit seinem Bruder das Angeln von Rotfedern. Während der Vater der Jungen eine Sauerstoffflasche ins Haus trägt und über Giselas Bett einen Spiegel aufhängt, damit sie ihre Kinder wenigsten hin und wieder sehen kann, kämpfen Daniel und Lukas mit den Fischen. Anna graut vor dem Geruch aus Angst, Todeslust und Fischschleim und sie würde den beiden am liebsten das Angeln verbieten. Aber Gisela möchte, dass sie trotzdem zu den Jungen hält: „Einer für alle und alle für einen.“ Diesen letzten Wunsch kann Anna Gisela nicht abschlagen. Neben der Schilderung, wie die Kinder mit ihrer Angst um Gisela, ihrer Hoffnung und ihrem Schmerz umgehen, passiert nicht viel in dem Roman. Einmal trifft sich Anna mit dem Bauernkind Anna-Sophia zum Eisessen. Doch Annas Versuch, ein Stück Normalität zurückzuholen, scheitert, weil diese sich nur für Giselas Krankheit und Klatsch über die Schlossbewohner interessiert. Als Daniel schließlich doch den Hecht fängt, weil er sieht, dass er keine Zeit mehr verlieren darf, ist es bereits zu spät: Während er stolz mit dem Fisch nach Hause rennt, ist seine Mutter bereits gestorben.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Jutta Richter, geboren 1955 in Burgsteinfurt/Westfalen, wuchs im Ruhrgebiet und Sauerland auf. Nach einem einjährigen Aufenthalt in Detroit/USA veröffentlichte sie noch als Schülerin ihr erstes Buch. Sie studierte katholische Theologie, Germanistik und Publizistik in Münster und lebt seit 1978 als freiberufliche Autorin auf Schloss Westerwinkel im Münsterland (und in der Toskana). Sie schreibt Erzählungen, Hörspiele, Theaterstücke, Lieder und Gedichte für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Für ihr literarisches Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. a. das Hermann- Hesse Stipendium, den Jugendliteraturpreis 2001, den Rattenfängerpreis der Stadt Hameln und den Luchs des Jahres (von der ZEIT und Radio Bremen). Sie lebte als Stadtschreiberin in Stuttgart und erhielt vom niedersächsischen Kultusministerium ein Stipendium im Künstlerhof Schreyahn. Ihre bekanntesten Bücher sind Der Hund mit dem gelben Herzen, Hinter dem Bahnhof liegt das Meer, Der Tag, als ich lernte die Spinnen zu zähmen und Annabella Klimperauge. Hechtsommer wurde mit dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2005 und dem Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs des Monats August 2004 ausgezeichnet.

4. Allgemeine Einordnung

Hechtsommer ist eine Geschichte über das Sterben und die Trauer, über Zusammenhalt und Freundschaft, über das Verzweifeln an Gott und einer abergläubischen Gegen-Sinnkonstitution. Und es ist nicht zuletzt eine Erzählung über das brüchig werdende Verhältnis von heranwachsenden Kindern zu ihren nicht mehr allmächtigen Eltern, das heißt über den plötzlichen Abschied von der behüteten Kindheit. Ihren großen Themen Abschied und Tod nähert sich die Geschichte nüchtern und beinahe mitleidlos, und doch zeigt sie dem Unausweichlichen am Ende eine lange Nase: „Es war wie immer, es war so, als wäre gar nichts geschehen.“ Der Roman spielt in einer nicht näher bestimmten, aber wohl zurückliegenden Zeit, die aus Retrospektive der damals vielleicht 12- oder 13-jährigen Anna erzählt wird. Der zeitliche Hintergrund spielt aber keine große Rolle, da die Symbolhaftigkeit der Bilder Zeitlosigkeit entstehen lässt. Wird zum Beispiel die aus heutiger Sicht vielleicht etwas altertümlich wirkenden Unterscheidung zwischen „Dorf-“, „Schloss-“ und „Bauernkind“ gemacht, geht es dabei weniger um die Illustrierung einer vergangenen Zeit, als um die Verbildlichung der spezifischen Position der Kinder: nämlich isoliert und losgelöst vom Rest der Welt das langsame Sterben der Mutter zu erfahren. Schlosskind zu sein, wird zum Symbol für Isolation und Eingesperrtsein in der Welt des Schmerzes. Ob die Geschichte vor zwanzig Jahren auf dem Land oder heute in der Anonymität einer Großstadt erzählt wird, macht dabei keinen Unterschied.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Jutta Richter erzählt die Geschichte in einer ernsten, präzisen, aber sehr bilderreichen und poetischen Sprache: Der „Hechtsommer“ beginnt im Mai mit knospenden Pfingstrosen und explodierenden Blütenkerzen der Kastanienbäume und endet im Hochsommer mit dem Tanz der Libellen. Daneben starren die Kinder mit „Wasseraugen“ ins „winterfarbene“ Wasser und legen ihre Gesichter in die Erbsensuppe, als sie von Annas Mutter endlich über Giselas unheilbare Krebskrankheit aufgeklärt werden. Die eindringliche, stark verdichtete Sprache schafft eine Intensität, die den Leser gleichsam in den Roman hineinzieht, so dass dieser am Ende eine Weile braucht, um wieder im Jetzt anzukommen. Konkrete Dinge haben in dieser Erzählung häufig symbolischen Gehalt. Offensichtlich sind die Leitmotive des Hechts, des Wassers und des Angelns. Der Hecht steht in erster Linie für die Hoffnung der Kinder, aber auch für Giselas Krebserkrankung, die erschlagen werden soll, das Wasser für den Fluss der Zeit und die Unmöglichkeit, sich dagegen stellen zu können. Mit dem Angeln wollen die Kinder den Dingen auf den Grund gehen, den Sinn der Erkrankung regelrecht aus dem Wasser herausfischen. Die Liste der Symbole lässt sich weiter verlängern: Das Eisessen steht beispielsweise für die Ambivalenz dieses Sommers – Sonne und Lebensfreude auf der einen Seite, Kälte und Todesangst auf der anderen. Die heruntergelassenen Jalousien demonstrieren die Machtlosigkeit gegenüber der Krankheit und der Spiegel über dem Bett die nur noch vermittelte, sich immer weiter entfernende Beziehung Giselas zu ihren Kindern. Mit Ausnahme von einzelnen Rückblenden berichtet die Ich-Erzählerin Anna die Ereignisse von Giselas letztem Sommer chronologisch. Dem eigentlich schnellen Sterben der Mutter steht ein langsames Erzähltempo gegenüber, so als wolle die Erzählerin die Zeit dehnen und den Tod der Mutter ihrer beiden Freunde möglichst weit hinauszögern.

6. Didaktische Anregungen

Dass der Tod eines Nahestehenden zwar alles aus den Fugen reißt und den Blick für das Wesentliche verändert, aber das Leben letztlich doch triumphiert, das ist die abschließende Botschaft an den Leser. Damit nähert sich Jutta Richter offen, aber sehr sensibel, schonungslos, aber auch hoffnungsfroh einem der noch bestehenden Tabuthemen unserer aufgeklärten Gesellschaft. Durch den Bilderreichtum und die Symbolhaftigkeit des Romans, die gerade auch von jüngeren Lesern verstanden und auf ihre jeweilige Situation hin übertragen werden können, eignet sich Hechtsommer hervorragend dazu, sich mit Schülern der 6.–8. Klasse an dieses problematische Thema heranzutasten.

Reflexiv-analytische Herangehensweise

  1. Entschlüsselung der Symbole im Text
    Was sind Symbole? Welche Bedeutung haben die Symbole im Text? (siehe 5.)

  2. Charakterisierung der Protagonisten im Hinblick auf ihre Handlungen
    Warum will Daniel unbedingt den Hecht fangen? Wieso ekelt sich Anna davor? Warum würgt Daniel den Jungen im Bus? Weshalb trifft sich Anna- Sophie mit Anna in der Eisdiele? Warum kommt Peter immer später nach Hause? Wieso lässt Annas Mutter an einem Nachmittag die Jalousien hinunter? Warum will Gisela Anna unbedingt noch einmal sehen, und wieso will Anna nicht zu Gisela? Nach der Interpretation können die Schüler erklären, ob sie das Verhalten der Figuren nachvollziehen können, oder ob sie jeweils anders gehandelt hätten.

  3. Auseinandersetzung mit den Hauptthemen
  • Glaube/Aberglaube Was ist Glaube? Glauben die Schüler an Gott? Was kann Gott leisten, was nicht? Kann allein Gott Sinn stiften oder auch etwas anderes? Hilft der Glaube, den Schmerz zu bewältigen? Was ist Aberglaube? Untersuchung des Aberglaubens Daniels, Annas und Lukas‘: Haben die Kinder Schuld an Giselas Tod, weil sie Angelschnüre ausgelegt haben und Daniel den Hechtgott zu spät gefangen hat? Was bewirkt der Aberglaube im Buch? Ist er Ventil, um besser mit dem Schmerz auszukommen oder ängstigt er eher? Welche abergläubischen Handlungen und Rituale sind den Schülern außerdem bekannt? Wenn Glaube und Aberglaube nicht helfen können, den Schmerz zu bewältigen, was hilft dann?
  • Kindheit
    Was ist Kindheit? Was verbinden die Schüler mit dem Ende der Kindheit? Ist es in erster Linie ein Verlust oder ein schöner Schritt in die eigene Verantwortung?
  • Freundschaft
    Was ist Freundschaft? Was sind die Grenzen der Freundschaft? Wie weit muss man zu den anderen halten?

Handlungs- und produktionsorientierte Herangehensweise

  1. Texte verfassen
    • Brief von Anna an Gisela: Was möchte Anna Gisela wohl noch sagen?
    • Brief von Anna an ihren verschwundenen Vater
    • Tagebucheintrag von Annas Mutter/Daniels und Lukas‘ Vater: Warum kann er/sie nicht mit den Kindern offen über das Problem sprechen? (für 8. Klasse)
    • Denkmonolog: Daniel sitzt am Schlossgraben und will den Hecht fangen, angelt dann aber doch nur Rotfedern, weil der Hecht angeblich noch Schonzeit hat.
    • Denkmonolog: Lukas sieht im Hof seine Mutter im Spiegel.
    • ein Happy End für die Geschichte (Mutter wird wieder gesund): Wie verändert der neue Schluss den Inhalt des Buchs insgesamt? Welches Ende gefällt den Schülern besser? Welches macht erzählerisch mehr Sinn?
    • Brief an Anna/Daniel/Lukas: Wie geht man mit dem Schmerz anderer um?

  2. Rollenspiele
    • Anna will Daniel und Lukas verbieten, den Hecht zu fangen – welche Argument bringt sie dagegen, welche die Jungen dafür?
    • Die Dorfkinder behaupten, dass der Vater von Daniel und Lukas mit Annas Mutter ein Verhältnis hat, die Schlosskinder müssen sich dagegen wehren.

  3. Illustrationen
    • selbstgewählte, eindrücklichste Symbole der Geschichte zeichnen
    • Bild von der jeweils bedrohlichsten und schönsten Situation im Buch malen
    • Daniel fängt den Hecht – welchen Ausdruck kann man auf seinem Gesicht lesen?
    • anderes Titelbild malen

empfohlen von Annette Kautt