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Caretta Caretta von Paulus Hochgatterer. Jugendbuchempfehlung

Paulus Hochgatterer:

Caretta Caretta

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Paulus Hochgatterer: Caretta Caretta. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 2004, 224 S.
  • Lesestufe: ab 9. Klasse

2. Inhaltsangabe

Personen

  • Dominik (Ich-Erzähler): 15 Jahre alt, lebt in Wien in einer betreuten Wohngemeinschaft, straffällig, verdient Geld als Callboy, konsumiert Drogen
  • Isabella: Mitbewohnerin in Dominiks Wohngemeinschaft
  • weitere Bewohner der Wohngemeinschaft: krimineller oder erziehungspflegerischer

Hintergrund

  • Sozialarbeiter: betreuen die Wohngruppe
  • Yoko: Freund Dominiks, Sohn eines Medikamentengroßhändlers, Dealer
  • Kossitzky: Kunde Dominiks, sterbenskrank, hat Dominik als Justizwachbeamter im Gefängnis kennengelernt und ihm dort geholfen
  • Roswitha Lombardi: Kundin Dominiks, wohlhabende Antiquitätenhändlerin

Ort und Zeit
Wien, z. T. Türkei (Ägäis) 1998

Handlung
Dominik, der in Wien in einer sozialpädagogisch betreuten Wohngemeinschaft lebt, erhält ein kleines Taschengeld im Monat, verdient aber ein Vielfaches als Strichjunge mit offenbar festem, zumeist gut situiertem Kundenstamm. Über seinen Hintergrund erfährt man wenig: Vater gestorben, Mutter hilflos, ein bis zur Folter hin gewalttätiger Stiefvater, eine Halbschwester, die inzwischen bei Pflegeeltern wohnt. Immer wieder werden Szenen besonders mit dem gewalttätigen Stiefvater eingeblendet. Die Handlung setzt ein, als Dominik versucht, „schwarz“ mit der Bahn von Wien nach Paris zu fahren. Er wird entdeckt, schlägt einen Schaffner nieder und flüchtet sich in ein Schlafwagenabteil zu zwei dubiosen Männern, die bei ihm eine großkalibrige Pistole verstecken. Als Dominik von zwei Schaffnern gestellt werden soll, hält er mit der Waffe alle vier Männer routiniert in Schach und  flieht. Mit einem gestohlenen Moped, per Autostopp und mit der Bahn schlägt er sich zurück nach Wien in die Wohngemeinschaft durch. Die Stimmung dort ist eine Mischung aus Rohheit und Langeweile, die Betreuer wirken hilflos und genervt. Zwei neue Mitbewohner, unter anderem die 11-jährige Isabella, werden vorgestellt. Sie ist fast noch ein Kind und gibt sich introvertiert. Sie liest in einem Buch über Schildkröten und erklärt Dominik auf seine Nachfrage hin, dass ihre Lieblingsschildkröte die Caretta Caretta sei, denn sie könne weinen. Über die Schildkröte vermittelt sich Isabellas emotionales Defizit. Dominik erhält einen Anruf von seinem Kunden Kossitzky. Dieser liegt mit Nierenkrebs im finalen Stadium in der Klinik und hat, dem Tode nahe, nur einen Wunsch: noch einmal raus, um etwas Schönes zu erleben und zu sehen. Dominik schlägt eine Fahrt nach Zakynthos, wo es Karettschildkröten geben soll, vor, will aber Isabella mitnehmen. Kossitzky stimmt zu, allerdings soll Dominik ausreichend Schmerzmittel besorgen. Das gelingt ihm ebenso wie die Pistole und die Medikamente durch den Zoll zu bringen. Allerdings hat sich das Reiseziel verändert: Statt in ein Hotel in Zakynthos geht es nun auf ein Boot an der türkischen Küste. Dort verbringen Kossitzky, Isabella und Dominik Tage in sehr wechselhafter Stimmung. Zwischen Dominik und Isabella lockert sich die ursprünglich sehr angespannte Stimmung, ohne dass es zu einer echten Annäherung kommt. Emotionen zu zeigen, ist beiden fremd. Kossitzky geht es zunehmend schlechter, aber mit den Schmerzmitteln kann er sich einigermaßen halten und den Aufenthalt stellenweise sogar genießen. Eine Fahrt zu einem Schildkrötenstrand misslingt, weil dieser wegen Vandalismus geschlossen ist. Das weitere Besichtigungsprogramm wird mehr oder weniger lustlos bis unbeteiligt durchgezogen. Als das Boot ankert, lässt sich Kossitzky an Land fahren, um Meereszwiebeln, von deren wundersamen Kräften er gehört hat, zu suchen. Als Dominik schnorchelt, stößt er auf einen verlassenen Schildkrötenpanzer und birgt ihn. Isabella meint, es handle sich um den einer Caretta Caretta. Am Strand stellen sie fest, dass Kossitzky gestorben ist. Sie trennen den Schildkrötenpanzer auf, legen den Leichnam hinein und begraben ihn. An diesem Grab singt jeder ein Lied, Isabella ein französisches Weihnachtslied und Dominik In the neighbourhood von Tom Waits.

3. Kurzinformationen zum Autor


Paulus Hochgatterer, 1961 im niederösterreichischen Amstetten geboren, studierte Medizin und Psychologie in Wien. Dort lebt er heute als Kinderpsychiater und Schriftsteller. Weitere Werke sind u. a. Über Raben (2002) und Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen (2003). Für sein literarisches Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Max-von-der-Grün-Preis 1991 und den Förderungspreis des Landes Niederösterreich 1991. 

4. Allgemeine Einordnung

Caretta Caretta hat folgende thematische Schwerpunkte:

  • Gewalt und was sie aus den Opfern macht,
  • Einsamkeit,
  • Sprach- und Kommunikationslosigkeit,
  • Unfähigkeit, Emotionen zu zeigen,
  • Sexualität abgekoppelt von Liebe, Prostitution,
  • (Jugend-)Kriminalität,
  • Auflösung gesellschaftlicher und familiärer Bindungen.

Vor allem das Thema der jugendlichen Prostitution ist außergewöhnlich, zumal sie hier mehr ein lukrativer Nebenjob als eine Verzweiflungstat zu sein scheint. Dennoch lässt sich Caretta Caretta mit einigen der hier vorgestellten Bücher unter einem bestimmten Schwerpunkt vergleichen (z. B. Referat, Lektüre ausgewählter Stellen):

  • Engel und Joe: Aspekt der jugendlichen Subkultur, Bedeutung der Kriminalität, Sexualität und Liebe
  • Ich bin der King: Langeweile, Perspektivlosigkeit, Liebe und Sexualität

5. Strukturelle und sprachliche Aspekte

Die Handlung wird linear fortlaufend erzählt, jedoch immer wieder von Erinnerungen und Reflexionen unterbrochen. So ergibt sich eine sehr offene Struktur, die einen fragmentarisch-unabgeschlossenen Charakter vermittelt. Das passt zu Dominik, aber auch zu den anderen Jugendlichen, die auf der einen Seite zwar abgebrüht und „alt“ erscheinen, auf der anderen Seite aber „unfertig“ und sehr jung wirken. Sie sind versiert im Drogenhandel, Fahrzeugdiebstahl und in der Prostitution, spiegeln dann aber ihre Emotionen in prominenten Fußballspielern und dem Ausgang von Fußballspielen. Diese offene Struktur, die die Protagonisten am Ende wieder sich selbst überlässt, macht die Lektüre von Caretta Caretta spannend und ermöglicht zahlreiche Zugangswege (s. u.). Die Sprache ist den thematischen Schwerpunkten entsprechend direkt, ohne aufgesetzt zu wirken. Das Einstreuen diverser Markennamen mag, was die Charakterisierung der Jugendlichen betrifft, von Bedeutung sein, wirkt aber nicht immer passend. 

6. Didaktische Anregungen


Zu den thematischen Schwerpunkten

  • Gewalt gegen Kinder und Jugendliche --> Recherche, Reportage, möglicherweise Einladung eines Sozialarbeiters
  • Jugendkriminalität --> Recherche, Diskussion, evtl. Besuch bei der Polizei
  • „Therapie-Vorschläge“: Wie ist es möglich, die betroffenen Jugendlichen aus ihrer Einsamkeit und Kommunikations- und Sprachlosigkeit herauszuholen? --> „therapeutische Situationen“ spielen
  • Liebe und Sexualität: Dominik verliebt sich – wie wirkt sich das auf seine Persönlichkeit und seine Tätigkeit als Callboy aus? --> Geschichte, Briefe, Tagebuch

Kreative Arbeit an und mit dem Text
Sehr interessant ist es, einzelne Figuren auszuarbeiten, in Spielszenen, Lebensläufen, Interviews, Berichten, Standbildern etc.:

  • Isabella: Wie erlebt sie mit elf Jahren die Wohngemeinschaft?
  • die anderen Heimbewohner: ihre Hintergründe, Träume, Perspektiven
  • Dominiks (Stief-)Eltern: Wege in die familiäre Katastrophe und aus ihr heraus
  • die Betreuer: Wie erleben sie den Alltag in der Wohngemeinschaft? Wie schützen sie sich vor „zu viel Nähe“? Absichten und Perspektiven der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen: Verwaltung oder echte Perspektiven?
  • Streetworker: Wie erlebt er die Jugendlichen? Worin sieht er den Sinn in seiner Arbeit?
  • Dominiks Kunden: die Lombardi, die Lehrerinnen

Darüber hinaus reizt die offene, ausschnitthafte Struktur zur Entwicklung von Vor- und Nachgeschichte oder zum Einstreuen einzelner Episoden bzw. zur Abänderung der Handlung.

Fazit

Caretta Caretta ist aufgrund seiner für ein Jugendbuch sehr offenen Struktur einerseits äußerst interessant und reizvoll zu lesen, andererseits für Jugendliche anspruchsvoll. Deshalb, aber auch aufgrund der recht offen behandelten sexuellen Thematik, sollte das Buch erst ab der 9. Klasse, also mit einem Lesealter von ca. 15–16 Jahren, behandelt werden.