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Asphalt Tribe von Morton Rhue. Jugendbuchempfehlung

Morton Rhue:

Asphalt Tribe

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Morton Rhue: Asphalt Tribe. Ravensburg: Ravensburger Taschenbuch, 2006, 224 S. (übersetzt von Werner Schmitz, Originaltitel: Can’t get there from here, mit einem Grußwort von Doris Schröder-Köpf und einem Nachwort von Markus Seidel)
  • Lesestufe: 9. Klasse

2. Inhaltsangabe

Personen

„Asphalt Tribe“: Gruppe jugendlicher Punks und Straßenkinder in New York, obdach- und mittellos:

  • Maybe (Jesse) (Ich-Erzählerin): nach Misshandlung durch die Mutter fortgelaufen
  • Maggot: Anarchist, aber eigentlich (wie sich erst später herausstellt) nur „Postkarten-Punk“
  • Rainbow (Mary Ann Golding): 16 Jahre, drogenabhängig, psychisch krank
  • 2Moro (Angel Perez): 15 Jahre, zerrüttete Familienverhältnisse, Prostituierte, HIV-positiv
  • Tears (Nikki): 12 Jahre, jüngstes Mitglied der Gruppe, nach Misshandlungen durch den Stiefvater von zu Hause fortgelaufen
  • Jewel: jugendlicher Prostituierter, starke psychische Störungen
  • OG: jugendlicher Punk, gesundheitlich zerrüttet
  • Country Club (Alexander Mittelson): 22 Jahre, bürgerlicher Hintergrund, verwindet Scheidung seiner Eltern nicht, ADS, Depressionen, Sucht
  • Pest: OGs Hund weitere Personen:
  • Anthony: Bibliothekar, hilfsbereit
  • Officer Ryan: Polizeibeamtin, die versucht ihre Arbeit mit Verständnis für die Jugendlichen zu verbinden
  • Officer Johnson: Polizeibeamter
  • Bobby: gewalttätiger Wachmann in der Bibliothek

Ort und Zeit
New York City um das Jahr 2000 herum Zeitliche Einflüsse spielen keine Rolle, wohl aber jahreszeitliche – es ist ein sehr kalter Winter.

Handlung
Eine Gruppe jugendlicher Punks versucht, sich mit Bettelei, Kleinkriminalität, kleinen Arbeiten und z. T. auch mit Prostitution in New York durchzuschlagen. Ihre Motive, wie die Jugendlichen sie vorgeben: der Wunsch nach Freiheit, die Unmöglichkeit, sich in ein festes System einbinden zu lassen, einen geregelten Tagesablauf zu führen. Die eigentlichen Motive liegen in der Biografie der Jugendlichen: oft (aber nicht ausschließlich) zerrüttete Familienverhältnisse, Misshandlungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, psychische Erkrankungen. Der Versuch, ein freies, ungebundenes Leben zu führen, misslingt auf der ganzen Linie. Schon früh gibt es den ersten Toten, Country Club, auf den die Gruppe mit Trauer, aber auch mit Sprachlosigkeit reagiert. Der Tod ist als solches nichts Außergewöhnliches mehr. Die Jugendlichen schlafen in einem alten Abrisshaus unter erbärmlichen Umständen, doch immerhin haben sie im beginnenden sehr harten New Yorker Winter ein Dach über dem Kopf. Als sie von Mitarbeitern eines Jugendhilfe-Programms aufgespürt werden, die ihnen unter der Bedingung gewisser Regeln Hilfe anbieten, kommt es zu einer Auseinandersetzung über Freiheit, Verantwortung und Eltern. Alle anderen haben Schuld, nur die Jugendlichen selbst erweisen sich als unfähig, selbst Verantwortung zu übernehmen. Sie widersetzen sich mehrfach gemachten Angeboten, von der Straße wegzukommen. Schon bald zeigt sich, dass der Zusammenhalt untereinander nicht so gut ist, wie die Jugendlichen behaupten. Als sich Maggot durch krumme Geschäfte – er verkauft Aspirin als Ecstasy – Geld verdient hat, verspricht er, Maybe Magentabletten zu kaufen. Doch dieses Versprechen ist vergessen, als er andere Drogen bekommen kann, um sie weiter zu verkaufen. Im Grunde ist Maggot, der sich als Systemkritiker gibt, ein Kapitalist wie andere auch. Von Mitgefühl keine Spur. Die Kinder werden behandelt wie menschlicher Abfall. Als sich Maybe und Rainbow auf der Toilette einer öffentlichen Bibliothek waschen wollen, werden sie erwischt und von dem latent sadistischen Wachmann Bobby gedemütigt und auch geschlagen. Es zeigt sich, dass die Erwachsenen, wenn sie wollen, gut mit der Angst der Kinder „arbeiten“ können. Selbst Tiere sind besser angesehen. Als sich die Jugendlichen von McDonald’s-Abfall ernähren, macht sich eine Passantin Sorgen um OGs Hund, ob dies für ihn die richtige Ernährung sei. Dass es aber nicht nur Erniedrigungen, sondern auch einen Rest von Stolz und  Selbstbehauptung gibt, zeigt sich, als Maybe den Angeboten eines Freiers hartnäckig widersteht. Als Maybe durch die Straßen treibt, trifft sie vor der Bibliothek auf Anthony. Zunächst fällt ihr nur auf, dass er wie sie eine Pigmentanomalie der Haut (Vitiligo) hat, dies für ihn allerdings kein Problem darzustellen scheint. Anthony arbeitet in der Bücherei und versorgt Maybe mit etwas Essen und Trinken und einigen neuen Sachen. Er bietet weitere Hilfe an, ohne sich aufzudrängen, doch nach der Erfahrung mit Bobby bleibt Maybe zunächst misstrauisch. Die Unterkunft der Gruppe im Abrisshaus wird geräumt, sie suchen sich einen Platz unter der Brooklyn Bridge, während die Temperaturen weiter sinken. Frieren und Hungern sind jetzt an der Tagesordnung, der Niedergang des „Asphalt Tribe“ schreitet fort. Aus der Zeitung erfährt Maybe, dass 2Moro erdrosselt worden ist. Bei einer Razzia geraten Maybe und Rainbow in die Hände der Polizei, Maybe wird in ein Haus der Jugendhilfe gebracht. Zwar genießt sie es, wieder eine Nacht in einem Bett und einem warmen Zimmer zu verbringen, aber den therapeutischen Anforderungen widersetzt sie sich und läuft nach nur einem Tag wieder weg. Durch Officer Ryan erfährt sie von Rainbows Selbstmord. Sie ist davon besonders geschockt, weil Rainbow praktisch ihr einziger sozialer Kontakt auch innerhalb der Gruppe war. Maggots Eltern tauchen auf, angeblich bloß um nach ihm zu sehen. Dennoch ist Maggot, der zuvor stets die gesellschaftskritischsten Sprüche  gemacht hat, kurz darauf mit ihnen fort. Für die anderen ist er dadurch ein bloßer „Postkarten-Punk“ (jmd., der eigentlich noch ein Zuhause hat und dorthin Postkarten schickt), eine Art Pseudo-Revolutionär. Der Hund Pest stirbt an Unterernährung, OG wird ins Krankenhaus, Jewel von der Polizei abgeholt und vermutlich in eine Psychatrie gebracht – der „Asphalt Tribe“ existiert nicht mehr. Maybe möchte der jungen Tears helfen, nach Hause zurückzukehren, ehe alles zu spät ist. Mit Anthonys Hilfe kann sie deren Großeltern ausfindig machen, da Tears nach wir vor nicht nach Hause möchte, und sie aus der Gewalt eines Zuhälters befreien. Anthony und Maybe bringen Tears zu ihren Großeltern, auf dem Rückweg redet er Maybe nochmals ins Gewissen. Das Buch endet mit einer Fahrt ans Meer, bei der Maybe bewusst wird, dass „alles (…) besser (ist), als auf der Straße zu leben“.

3. Kurzinformationen zum Autor

Morton Rhue – ein Pseudonym, der richtige Name des Autors lautet Todd Strasser – wurde 1950 in New York geboren. In Deutschland ist er vor allem durch sein Buch Die Welle bekannt, in dem er die Manipulierbarkeit von Jugendlichen durch Führerfiguren und Ideologien aufzeigt und anprangert. Morton Rhue lebte als Straßenmusiker in Europa, studierte Literatur und arbeitete in verschiedenen Berufen, vor allem als Journalist. Heute arbeitet der mehrfach ausgezeichnete Autor hauptberuflich als Schriftsteller und engagiert sich in Schulen.

4. Allgemeine Einordnung

Die Handlung spielt in der Wohlstandsgesellschaft des ausgehenden 20. bzw. beginnenden 21. Jahrhunderts. Der Kontrast zwischen der absoluten Mittellosigkeit der Straßenkinder und der Wohlstandsgesellschaft, die auch ihre hässlichen Seiten hat, bildet den Hintergrund der Handlung. Zwar steht das Mitgefühl für die Straßenkinder im Mittelpunkt, doch werden Klischees und Schwarz-Weiß-Malerei vermieden: Die Freiheitsromantik der Jugendlichen wird einerseits als begründet (familiäre Hintergründe), andererseits als Selbstbetrug (ihr tatsächliches Leben) dargestellt, und auch die Erwachsenen sind nicht nur spießig, böse und gewalttätig, sondern es gibt Beispiele großer (Anthony, Officer Ryan) und kleiner, alltäglicher Hilfsbereitschaft. Auch wenn es in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum zu vier Toten kommt, erscheint die Darstellung der Lebensumstände der Straßenkinder nicht unglaubwürdig. Bemerkenswert ist lediglich, dass die Erzählerin Maybe anscheinend frei von irgendwelchen Süchten oder Zwängen zur Prostitution ist.

5. Strukturelle und sprachliche Aspekte

Die Handlung, die sich über einige Monate erstreckt, wird in 30 kurzen Kapiteln aus der Sicht des Mädchens Maybe erzählt. Trotz der formalen Ich-Erzählsituation wird ein umfassender Überblick über das Geschehen gegeben. Die vier Toten, zu denen auch der Hund Pest gehört, werden durch ein Kurzportrait vorgestellt, anhand dessen man einiges über die Hintergründe erfährt. Oft, aber nicht immer stehen zerrüttete Familienverhältnisse im Hintergrund. Country Club und Maggot kommen z. B. aus „gutem Hause“ und sind keine Opfer von Gewalt, Misshandlung o. Ä. Die Geschichte hat einen offenen Anfang (Hintergründe werden, wie erläutert, nachträglich erklärt) und ein offenes Ende, zumindest was Maybe, die Erzählerin, betrifft. Deutlich ist aber: Das Leben auf der Straße ist für die Kinder auf die Dauer tödlich, ihr Gerede von Freiheit und Unangepasstheit ist Selbstbetrug. Indem der „Asphalt Tribe“ am Schluss nicht mehr besteht, ist das Ende insgesamt doch als geschlossen zu bezeichnen. Das Buch ist verständlich, der Zielgruppe entsprechend und spannend geschrieben. Sowohl das Grußwort, vor allem aber das Nachwort des Vorsitzenden der Straßenkinder-Hilfsorganisation Offroad erhellen zusätzlich den Hintergrund der Handlung.

6. Didaktische Anregungen

Die Arbeit mit Straßenkindern
Im Vordergrund der Beschäftigung mit Asphalt Tribe werden die Frage nach den Ursachen für das Weglaufen von Kindern und Jugendlichen und nach Möglichkeiten, dem Dasein als Straßenkind zu entkommen, stehen. Dazu sind folgende Vorschläge denkbar:

  • Referenten einladen, z. B. von der Polizei, Streetworkern, Hilfseinrichtungen, Sozialamt
  • Kurzvorträge: Vorstellen einer Hilfseinrichtung, z. B. anhand von Internetrecherchen
    – Berufsbild: Streetworker
    – Therapie-Angebote
    – Das Problem „Ausreißer“
  • handlungs- und produktionsorientierter Zugang: Briefe an die/von den Jugendlichen
  • Ansatz für eine wirksame Therapie (Ziele, Mittel, Wege) entwickeln: Wie kann man an die Jugendlichen herankommen, um ihnen wirklich zu helfen?
  • Ein Therapeut, der seit 10 Jahren mit Straßenkindern arbeitet, berichtet.

Der „Asphalt Tribe“ und seine Helfer

  • Szenario: Maybe setzt die Therapie fort und verlässt die Gruppe.
  • Rekonstruktion des Lebenslaufs (vgl. Kurzportraits) oder einzelner Szenen aus dem Leben der Straßenkinder, bevor sie abgehauen sind
  • Fortsetzung der Handlung:
    – Maggot, der „Postkarten-Punk“: sein Leben, nachdem er wieder bei den Eltern ist
    – zehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre später: Maybe und Maggot treffen sich zufällig in New York.
  • Portrait der Helfer Anthony und Officer Ryan (--> Motive zu helfen, möglicher Hintergrund, Konflikte, z. B. am Arbeitsplatz)
  • Officer Ryan tippt ein Polizeiprotokoll. (--> Handlungsebene, Protokolltext, Gedanken: Einstellung zu den Straßenkindern, Konflikt zwischen dienstlichem Auftrag und Mitgefühl)

Reaktionen/Wahrnehmung der Gesellschaft

  • das Umfeld: unbekannte Randfiguren, z. B. ein Barkeeper aus dem „Good Life“, eine Kellnerin des „Cradle“ oder des „Stanley‘s“ --> neue Szenen erfinden, Gedanken/Handlungen: Arbeitsbedingungen, Verhältnis zu den Gästen, Beobachtungen hinsichtlich Drogen und Prostitution, Wahrnehmung der Punks • Szene: Das Paar aus Kap. 9 (ein Paar unterhält sich mit Maggot, als er bettelt, die Frau gibt ihm schließlich etwas, womit der Mann nicht einverstanden ist) unterhält/streitet sich über die Straßenkinder.
  • Diskussion, Wandzeitung, möglicherweise schriftliche Erörterung: Die Gesellschaft und ihre Regeln – was wir für notwendig halten, was uns stört.
  • Anfertigen eines Plakats, das auf die Straßenkinder und ihre Situation aufmerksam macht

Verknüpfung mit anderen Werken
Verbindungen lassen sich am ehesten herstellen zu Junk von Melvin Burgess, Engel und Joe von Kai Hermann (auch als Film) sowie zu Caretta Caretta von Paulus Hochgatterer. Auch zum „Klassiker“ Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von
Christiane F./Hermann/Rieck (Buch/Film) lassen sich Verbindungen herstellen. M. Seidel weist in seinem Nachwort zu Asphalt Tribe explizit darauf hin, dass sich möglicherweise die Drogen geändert haben, nicht aber die Strukturen des Einstiegs in die „Straßenkinder-Szene“ (S. 216). Parallelen und Unterschiede, Stationen des Abstiegs, Gründe für den Widerstand gegen Therapien und Möglichkeiten des Ausstiegs können gut miteinander verglichen werden, z. B. in Gestalt von Buchvorstellungen oder der Besprechung des Films.