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Die letzten Kinder von Schewenborn. Jugendbuchempfehlung

Gudrun Pausewang:

Die letzten Kinder von Schewenborn

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Gudrun Pausewang: Die letzten Kinder von Schewenborn oder … sieht so unsere Zukunft aus?. Ravensburg: Ravensburger Taschenbuch, 2006, 192 S.
  • Lesestufe: 7./8. Klasse

2. Inhaltsangabe

Auf der Ferienfahrt von Frankfurt-Bonames zu den Großeltern nach Schewenborn werden der fast 13-jährige Roland Bennewitz, seine Eltern und seine beiden Schwestern von einer Atombombenexplosion überrascht. Zwar hat man von Spannungen zwischen Ost und West gewusst, diese aber nicht so ernst genommen. Roland und seine Familie schlagen sich nach Schewenborn durch. Die Großeltern sind umgekommen und die Familie zieht in deren Haus ein, das in dem zum Teil zerstörten Ort größtenteils verschont geblieben ist. Sie erlebt das Flüchtlingschaos und -elend, aber auch den menschlichen Egoismus im Überlebenskampf. Um Wasser zu holen, darf Roland nach einigen Tagen das Haus verlassen und wird nun in der Stadt mit der ganzen Brutalität der Atomkriegsauswirkungen konfrontiert. Diese Erfahrungen lassen ihn reifen und er beginnt, im Hospital zu helfen. Hier sieht er die Not und das elende Sterben der Strahlenopfer. Gerüchten zufolge sind alle großen Städte der Bundesrepublik zerstört worden und allmählich wird klar, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende Katastrophe handelt. Plündereien und Chaos nehmen zu. Rolands Familie nimmt die zwei Kinder einer verstorbenen Patientin als Pflegekinder auf. Seine Mutter widmet sich von nun an der Aufgabe, sich um Kinder ohne oder mit kranken Eltern zu kümmern, und gewinnt so ihren Lebenswillen zurück. Als eine Typhusepidemie ausbricht, fallen ihr Rolands kleine Schwester und eins der Pflegekinder zum Opfer, kurz darauf stirbt auch die ältere Schwester an den Folgen der Atomverstrahlung. Alle Ärzte sind tot und die Hoffnung auf Hilfe von außerhalb wird allmählich aufgegeben. Durch eine Hungersnot und den einsetzenden Winter kommt eine weitere Sterbewelle über den Ort. Die Mutter, die festgestellt hat, dass sie schon seit Beginn der Katastrophe schwanger ist, will unbedingt nach Frankfurt zurück. Sie will nicht glauben, dass auch ihre Heimatstadt zerstört ist. Als sie droht, alleine zu gehen, schließen sich ihr Roland und der Vater mit dem Pflegekind Jens notgedrungen an. Sie kämpfen sich bis nach Frankfurt durch, nur um zu sehen, dass es die Stadt nicht mehr gibt. Auf dem qualvollen Rückweg stirbt der geschwächte Jens an Grippe. In Schewenborn haben die ehemaligen Nachbarn das Haus der Großeltern okkupiert, die Familie muss in den Schlosskeller ziehen. Hier bekommt die Mutter ihr Kind, das keine Augen und verkrüppelte Arme hat. Der Vater tötet das Baby, die Mutter verblutet nach der Geburt. Roland und sein Vater ziehen in das Gartenhaus des Großvaters. Vier Jahre später leben nur noch wenige Menschen in Schewenborn. Durch die verstrahlte Erde ist in der Zwischenzeit kaum etwas gewachsen und in ihrer Verzweiflung haben die Menschen selbst Rattenfleisch gegessen. Doch inzwischen hat man gelernt, nach der Katastrophe zu leben und versucht, das Leben wieder zu normalisieren. Es gibt Ansätze von Ordnung. Der Ort hat sogar wieder eine Schule, Roland und sein Vater sind die Lehrer der beiden Klassen. Den Vater plagt sein Gewissen immer mehr, weil er seinerzeit nichts gegen den Rüstungswahn getan hat. Deshalb wird Roland, der keine Schuld an der Katastrophe auf sich geladen hat, die Klasse leiten, wenn es bald nur noch eine gibt, denn die Kinder sterben weiterhin an der „Strahlenkrankheit“. Roland will ihnen Verantwortung und Nächstenliebe beibringen, damit ihre Welt, auch wenn sie nur von kurzer Dauer ist, eine friedliche wird, denn sie sind die „letzten Kinder von Schewenborn“ (S. 188).

3. Kurzinformationen zur Autorin


Gudrun Pausewang, Jahrgang 1928, lebt als freie Autorin in Schlitz (Hessen). Sie arbeitete über zehn Jahre als Lehrerin in Südamerika. Aus diesen langjährigen Erfahrungen und ihrem Erleben des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges sind ihre beiden Hauptanliegen entstanden, die sie in ihren Büchern immer wieder deutlich zu machen versucht: „Solidarität mit der Dritten Welt und Friede um jeden Preis“ (aus Pausewangs Rede zur Verleihung des Gustav-Heinemann-Friedenspreises). Mit ihren Büchern, die in über zehn Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurden – u. a. dem Deutschen Jugendliteraturpreis für Die Wolke und dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Die letzten Kinder von Schewenborn –, will sie mithelfen, „dass unsere Gesellschaft ein bisschen mehr weg vom Ich und hin zum Wir kommt“ (Gudrun Pausewang, Trierischer Volksfreund v. 3. 3. 2003).

4. Allgemeine Einordnung


Der Roman Die letzten Kinder von Schewenborn spiegelt die Gefahr eines Atomkrieges in der Zeit des Kalten Krieges und des Ost-West-Konfliktes zwischen den Supermächten USA und UdSSR sowie ihren Verbündeten mit ihrer gegenseitigen Auf- und Nachrüstung besonders in den 1970er Jahren wider. Gerade Deutschland, das an der Schnittstelle zwischen Ost und West lag, war hier besonders gefährdet. Zwar hat sich die politische Konstellation heute verändert, den Ost-West-Konflikt gibt es nicht mehr, aber es entstanden und entstehen neue Nuklearmächte, wie z. B. Nordkorea oder der Iran, der auf dem Weg dorthin ist. Auch die Vorstellung, dass Atomwaffen in die Hände von Terroristen gelangen könnten, ist heute nicht mehr abwegig. Gudrun Pausewangs Anklage gegen die Gleichgültigkeit und Passivität der Menschen, die ihre Möglichkeiten und Chancen, auf die politischen Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen, zugunsten eines bequemen Lebens in Wohlstand nicht wahrnehmen, hat daher auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Im Unterricht muss der historische Hintergrund des Romans unbedingt behandelt, aber auch die heutige Gefahr von „Atomschlägen“ aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang sollte auch (je nach Sensibilität der Schüler mehr oder weniger ausführlich) auf die Auswirkungen von Atombombenexplosionen eingegangen werden, zum Beispiel indem der Lehrer Schilderungen der Auswirkungen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zur Verfügung stellt. Auch Gudrun Pausewang schildert diese Folgen ungeschönt in ihrer ganzen Brutalität (der Roman hat bezeichnender Weise auch kein Happy End), so dass man bei der Lektüreauswahl auch abwägen muss, ob der Roman als Lektüre in Klassen mit besonders sensiblen Schülern überhaupt gewählt werden sollte. Andererseits hält der Roman gerade durch seine schonungslose Darstellung des Grauens die Schüler dazu an, die vorherrschenden Normen und Werte unserer Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, und kann so einen wertvollen Beitrag zum Aufbau sozialer Verantwortung leisten. Er leitet die Schüler dazu an, „die Chance zur Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse zu erkennen und wahrzunehmen. Somit schafft er Voraussetzungen für die Entwicklung einer demokratischen Handlungsfähigkeit“ (Susanne Kapalschinski in: in/Deutsch, 2/1999, S. 4). Die letzten Kinder von Schewenborn ist zwar eine pessimistische und deprimierende Zukunftsutopie, der Untertitel des Romans oder ... sieht so unsere Zukunft aus? weist allerdings darauf hin, dass das Ende der Menschheit nicht zwangsläufig in der atomaren Katastrophe enden muss. Die Menschheit hat es selbst in der Hand, wie ihre Zukunft aussehen kann/soll.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Der Jugendroman Die letzten Kinder von Schewenborn, von seiner Autorin als Erzählung bezeichnet, umfasst 192 Seiten, die in 13 Kapitel aufgeteilt sind. Die in den einzelnen Kapiteln geschilderten Zeiträume sind sehr unterschiedlich, manche Zeitabschnitte werden sehr ausführlich beschrieben, andere auf nur wenigen Seiten stark gerafft oder übersprungen. Der ganze Roman wird monoperspektivisch aus der Sicht des Ich-Erzählers Roland Bennewitz wiedergegeben. Der Leser ist folglich nur an seinen Gedanken und Gefühlen unmittelbar beteiligt. In die anderen Personen hat er keine Innensicht. Sie sind, sofern sie sich nicht eindeutig selbst äußern, nur über Roland dargestellt und werden folglich auch nur aus seiner Sichtweise heraus interpretiert. Roland schildert die Ereignisse aus einem zeitlichen Abstand von über vier Jahren. Diese innere und zeitliche Distanz zum Erlebten lässt sich an vielen Formulierungen im Text nachweisen. Dem eigentlichen Roman hat Gudrun Pausewang das Gedicht Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde von Jörg Zink vorangestellt. Auch hier wird pessimistisch geschildert, wie sich der Mensch in eigener Überheblichkeit und Selbstüberschätzung zum Herrn über die Schöpfung macht und sie innerhalb kürzester Zeit – in Anlehnung an den Schöpfungsbericht der Bibel in sieben Tagen – vernichtet. Das Gedicht sollte daher unbedingt entweder als Einstieg in die Romanbehandlung oder aber als zusammenfassender Kommentar am Ende der Unterrichtseinheit aufgegriffen werden.

6. Didaktische Anregungen

Gudrun Pausewangs Roman Die letzten Kinder von Schewenborn bietet für die Behandlung im Deutschunterricht eine Vielzahl von Ansätzen.

  • Einmal sollte der historische Hintergrund des Romans (Ost-West-Konflikt, Kalter Krieg, Aufrüstung, Gleichgewicht des Schreckens etc.), u. U. in Verbindung mit dem Politik-/Sozialkunde- bzw. Geschichtsunterricht, erarbeitet werden. Hierbei muss auch auf die veränderte politische Situation und aktuelle Gefahren eingegangen werden. Das könnte entweder durch Schülerreferate oder Gruppenarbeit geschehen, sollte aber zu einer Diskussion über die heutige Gefahr eines nuklearen Angriffs und die Möglichkeiten (auch für den Durchschnittsbürger), diesen aktiv zu verhindern, führen.
  • In Gudrun Pausewangs Roman verändern sich die Menschen durch die Katastrophe. Auch hier bieten sich verschiedene Ansatzpunkte für den Deutschunterricht. Interessant wäre etwa, die unterschiedliche Entwicklung von Roland (Reifungsprozess), Mutter (Realitätsflucht) und Vater (Gewissensbisse etc.) herauszuarbeiten. Dabei sollten auch die möglichen Gründe für die jeweilige Verhaltensänderung hinterfragt werden.
  • Auch die durch die Katastrophe bedingten Veränderungen der Umwelt und der Lebensbedingungen sowie den daraus resultierenden Wandel der gesellschaftlichen Werte herauszuarbeiten, wäre ein möglicher Unterrichtsansatz. In diesem Zusammenhang können auch unsere heutigen gesellschaftlichen Wertevorstellungen kritisch hinterfragt werden (evtl. fächerübergreifend mit dem Religions- oder Ethikunterricht).
  • Die veränderte Einstellung zu Tod und Sterben lässt sich anhand verschiedener Stellen des Romans problematisieren (z. B.: Vater tötet sein behindertes Neugeborenes; junger Mann begeht Selbstmord mit seinem Auto; Roland hilft Andreas, einem verstümmelten Jungen, sich umzubringen), dies auch provozierend: Ist Rolands Vater ein Kindsmörder? Ist Roland ein Mörder?
  • Eine weitere Möglichkeit der Behandlung des Romans im Deutschunterricht wäre ein Vergleich mit anderen Endzeitutopien. Hier böte sich etwa Nicholas Meyers Film The Day After (Der Tag danach) von 1983 an. Auch hier werden die Schrecken und der Überlebenskampf nach einem Atombombenabwurf gezeigt.
  • Schließlich bietet der Roman auch Ansatzpunkte zur Behandlung des Themenbereiches „Verantwortung für die Schöpfung“, sei es im Deutsch- oder Religions- bzw. Ethikunterricht. Als Einstieg kann hier das bereits angesprochene Gedicht von Jörg Zink dienen (vgl. 4.).

Mögliches Unterrichtsbeispiel
Immer wieder wird im Roman die Frage nach der Verantwortung/Schuld für die Atomkatastrophe im Zusammenhang mit dem Verhalten bzw. Versagen der Elterngeneration gestellt. Besonders krass formuliert es Andreas, der seine Eltern verflucht
(vgl. S. 121). Aber ist das Urteil so leicht und so pauschal zu fällen? In einem Rollenspiel (einer fiktiven Gerichtsverhandlung) sollen die Schüler die Beweggründe (Positionen) der Eltern und Kinder herausarbeiten, gegeneinander abwägen und zu einem begründeten Urteil kommen. Das Rollenspiel sollte am Ende der Unterrichtsreihe stehen, da alle Schüler den Romaninhalt kennen müssen. Das Prozedere eines Gerichtsverfahrens dürfte den Schülern aus diversen Fernsehserien vertraut sein und kann somit motivierend auf den Unterrichtsverlauf wirken.

1. Einführung/Hinführung

Der Lehrer schildert zunächst die fiktive Situation: Rolands Vater ist von dem Vorwurf seines Schülers, er sei ein Mörder
(vgl. S. 185), so getroffen, dass er sich stellvertretend für seine ganze Generation einem Gerichtsverfahren stellen will, das seine/ihre wirkliche Schuld feststellen soll. Die Schüler werden in drei Gruppen eingeteilt (oder wählen sie selbst): Kinder (Ankläger), Eltern (Angeklagte/Verteidiger), Richter.

2. Erarbeitungsphase

Die Schüler versetzen sich jetzt in die Situation derjenigen, die sie vertreten (evtl. emotional „angeheizt“ durch verdeutlichende Situationsschilderungen des Lehrers), und erarbeiten anhand von Textstellen ihre Argumente für die Gerichtsverhandlung. Bei schwächeren Klassen/Gruppen sollten die enstprechenden Romanstellen vorgegeben werden.

3. Präsentationsphase/Festigungsphase I
Je ein Mitglied der Ankläger bzw. der Angeklagten vertritt die Argumente seiner Gruppe vor dem Plenum. Hierbei werden die jeweiligen Argumente stich-wortartig an der Tafel festgehalten (evtl. durch einen Schüler oder den Lehrer, der als Gerichtsschreiber fungiert). Bei stark motivierten Klassen ist u. U. auch eine Art Kreuzverhör möglich.

4. Präsentationsphase/Festigungsphase II
Die Richter fällen jetzt aufgrund der eigenen Romanlektüre sowie der gehörten Argumente der beiden Gruppen ihr Urteil. Alle Argumente werden detailliert begründet und stichwortartig an der Tafel festgehalten.

5. Diskussion
In einer anschließenden Diskussion können die Schüler einerseits Stellung zum gefällten Urteil nehmen und andererseits versuchen, die Hintergründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben, nachzuvollziehen.


empfohlen von Volker Krischel