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East End, West End und dazwischen Maniac Magee von Jerry Spinelli. Jugendbuchempfehlung

Jerry Spinelli:

East End, West End und dazwischen Maniac Magee

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Jerry Spinelli: East End, West End und dazwischen Maniac Magee. München:  tv junior, 2006, 192 S. (aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Steinhöfel, Originaltitel: Maniac Magee)
  • Lesestufe: 7.–9. Klasse

2. Inhaltsangabe

Der verwaiste Jeffrey Magee wächst bei einem Onkel und einer Tante auf, die in Dauerfeindschaft leben und nicht miteinander sprechen. Als Jeffrey elf Jahre alt ist, hält er es dort nicht mehr aus und läuft eines Tages ohne Ziel einfach los. Von nun an wird das Laufen zu seiner zweiten Natur. Irgendwann kommt er in Two Mills an, wo er sich als Straßenkind durchschlägt. In dieser Stadt bildet die Hector Street eine selten überschrittene Grenze zwischen dem West End, in dem die Weißen leben, und dem East End, dem Wohnviertel der Schwarzen. Beide Bevölkerungsgruppen stehen sich feindselig gegenüber. Jeffrey fällt durch mehrere Dinge auf, die ihm den Namen „Maniac“ („der Verrückte“) einbringen: Er taucht überraschend auf Sportplätzen auf, wo er fast übernatürliche Taten beim Football und Baseball vollbringt, und betritt als Weißer das East End. Dort lernt er die gleichaltrige Amanda Beale kennen, deren Familie den elternlosen Jungen aufnimmt und ihm ein Zuhause gibt, in dem er sich geborgen fühlt. Auch im West End hat er bei der Familie Pickwell Gastfreundschaft erfahren. Seine ursprüngliche Arglosigkeit wird ihm allerdings ausgetrieben. Im West End hat er sich die Jugendgang der Kobras zu Feinden gemacht, deren Anführer John McNab er beim Baseball besiegt hat. Im East End lassen ihn einige Einwohner, darunter der Bandenchef Marsriegel Thompson, ihren unversöhnlichen Hass spüren und geben ihm zu verstehen, dass er als Weißer nicht erwünscht ist. Schließlich läuft Jeffrey erneut davon und lebt heimlich im Büffelgehege eines Tierparks. Als die Not am größten ist, rettet ihn der alte Parkarbeiter Grayson. Er verschafft dem Jungen eine Unterkunft und wird sein Freund. Der sehr wissbegierige Jeffrey, der sich immer wieder Bücher organisiert, kann sich revanchieren, indem er dem alten Mann das Lesen beibringt. Doch wieder muss er die Flucht antreten, als Grayson stirbt. Diesmal findet er Aufnahme im West End: Als er zwei davongelaufene Jungen sicher nach Hause bringt, stellen sich diese als John McNabs jüngere Brüder heraus. Jeffrey kümmert sich um die beiden vernachlässigten Kinder und zieht in das völlig verwahrloste Haus ein. Als er die haltlosen Vorstellungen der Schwarzen und Weißen voneinander nicht mehr ertragen kann, überredet er Marsriegel zu einer Mutprobe. Tatsächlich geht dieser mit ihm in das West End. Obwohl die Begegnung mit den rassistischen McNabs nicht den gewünschten Erfolg hat, entwickelt sich gegenseitiger Respekt zwischen dem weißen und dem schwarzen Jungen. Gemeinsam mit Amanda holt Marsriegel schließlich seinen neuen Freund aus dem Büffelgehege, in das Jeffrey wieder eingezogen ist, und dieser findet endgültig sein Zuhause bei den Beales.

3. Kurzinformationen zum Autor

Jerry Spinelli ist einer der bekanntesten Jugendbuchautoren in den USA. Er wurde mehrfach für seine Bücher ausgezeichnet, darunter mit der Newbery Medal (dem wichtigsten US-amerikanischen Preis für Kinder- und Jugendliteratur) für Maniac Magee. Spinelli wurde 1941 in Pennsylvania geboren, wo er auch heute lebt und die Handlung des Romans angesiedelt ist. Nach dem Studium arbeitete er zwanzig Jahre lang als Redakteur für eine Fachzeitschrift und schrieb nebenbei Literatur. Eigenen Angaben zufolge schöpft er Ideen für seine Bücher aus eigenen Jugenderlebnisse und denen seiner Kinder. Seine Frau Eileen Spinelli ist ebenfalls Schriftstellerin.

4. Allgemeine Einordnung

Spinellis Roman vermittelt auf sehr einleuchtende und unterhaltsame Art den Toleranzgedanken der Aufklärung. Man fühlt sich an Lessings grundlegende Unterscheidung zwischen „solchen“ und „bloßen Menschen“ erinnert, wenn immer wieder betont wird, dass unter allen Rollen, die der Einzelne spielt (als Schwarzer/Weißer, Junger/Alter, Junge/Mädchen), der gleiche menschliche Kern verborgen ist. Die Grenzen zwischen den Menschen sind nicht unüberwindbar und der entscheidende Weg zu ihrer Beseitigung ist der Beginn eines Gesprächs. Dass dieses oft ausbleibt, ist ein allgemeines Problem und besteht nicht nur zwischen den ethnischen Gruppen, sondern z. B. auch unter Eheleuten wie Jeffreys Onkel und Tante, deren Sprachlosigkeit die zweite Grunderfahrung des Jungen nach dem Verlust der Eltern ist. Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Vorurteilen und Hass spielt die Tatsache, dass man sich gegenseitig nicht kennt. Unter diesen Umständen wuchern unbegründete Ängste; die Schwäche wird wie bei den McNabs und bei Marsriegel durch Aggressivität und Angeberei kompensiert und so wird Lieblosigkeit zum Hauptkennzeichen der Gesellschaft. Jeffrey ist ein Mittler zwischen den Seiten, weil er ständig läuft und Grenzen im wörtlichen und übertragenen Sinn überquert. Er spricht mit den Menschen und bringt sie miteinander ins Gespräch. Der wirkliche Wert eines Menschen zeigt sich bei Spinelli nicht in seinen Rollen und Zugehörigkeiten, sondern in seinen Taten, vor allem in der Liebe, die er anderen entgegenbringt (was wiederum an Lessings Nathan erinnert). Dies veranschaulicht der Autor an den Pickwells, den Beales oder Grayson, aber auch an Jeffrey.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

East End, West End und dazwischen Maniac Magee ist ein Buch, das durch den virtuosen Umgang mit Sprache und Form die Masse der Jugendbücher weit überragt. Jerry Spinelli fördert Lesekompetenz, indem er einen verschachtelten Aufbau wählt, ein raffiniertes Spiel mit Wahrheit und Fiktion, Indikativ und Konjunktiv („Manche sagen, er sei (...)“, S. 14) treibt und den Erzähler sogar noch darüber reflektieren lässt, ohne einen 13-jährigen Leser damit im Geringsten zu überfordern. Der Roman ist spannend und wird im Stil einer fiktiven Legende erzählt; dabei wird augenzwinkernd übertrieben und geflunkert, ohne dass die Ernsthaftigkeit des Anliegens darunter leiden würde. Das Buch ist zugleich ein Plädoyer für die Kraft des Erzählens: Phantasievolle und anspielungsreiche Geschichten in der Geschichte werden erzählt, die abwechselnd grotesk, witzig oder traurig sein können. Leitmotive (z. B. die Karamellbonbons, die Jeffrey liebt) und Symbole (ein Knoten, den Jeffrey entwirren kann; die Brücke, auf der seine Eltern verunglückten) geben dem Roman Struktur und Tiefe. Der Protagonist ist eine Mischung aus Huckleberry Finn und Superman. Er rennt, weil er immer auf der Suche nach einem dauerhaften Zuhause ist. Durch ihn werden unterschiedliche Leserbedürfnisse befriedigt. Man leidet mit, wenn Jeffrey wieder eine Heimat verliert, und bewundert ihn, weil er Fähigkeiten hat, über die man selbst gern verfügen würde. Dabei könnte man auch Züge eines Erlösers an ihm entdecken, denn er vollbringt einige Dinge, die an ein Wunder denken lassen, und schafft es, die verfeindeten Bevölkerungsgruppen einander anzunähern. In der Behandlung von Raum und Zeit weist der Roman mythische Züge auf. Zwar werden konkrete Ortsnamen in Pennsylvania genannt und an vielen Aspekten der Handlung lassen sich typische Kennzeichen des Lebens in einer amerikanischen Großstadt wiedererkennen. Trotzdem bleibt vieles unbestimmt und von den normalen Gesetzmäßigkeiten der gegenwärtigen Gesellschaft unberührt. Der Ort Two Mills ist symbolisch überhöht und es ist sicherlich ein Ausfluss amerikanischer Mentalität, dass das Glück hier durch die Kraft starker Individuen herbeigeführt wird, während staatliche Institutionen wie Schulbehörde und Jugendamt einfach nicht zu existieren scheinen. Ein wichtiges Stilmittel ist auch die Arbeit mit Parallele und Kontrast. Auf beiden Seiten der Stadt gibt es gute Menschen (die Pickwells und die Beales) und solche, die durch Erziehung und Herkunft davon abgehalten werden, welche zu sein (John McNab, Marsriegel Thompson). Besonders deutlich wird an den kleineren Kindern, welche Bedeutung eine intakte Familie und Umgebung haben: Die Paare Russell und Piper McNab sowie Hester und Lester Beale sind gleichermaßen chaotisch und wild. Weil aber die Beale-Kinder in einer liebevollen Familie aufwachsen, gelingt es, dies in geordnete Bahnen zu lenken, während die mutterlosen McNabs schon früh Tendenzen zur sozialen Verwahrlosung und Gewalttätigkeit zeigen. Dabei spielt auch die Frage der Bildung eine entscheidende Rolle; im Haushalt der Beales gibt es Bücher und Geschichten werden vorgelesen, was für Leute wie die McNabs ein Zeichen von Schwäche wäre. East End, West End und dazwischen Maniac Magee profitiert im Übrigen von der sorgfältigen Übersetzung durch Andreas Steinhöfel, der eine Sprache findet, welche den Qualitäten des Originals angemessen ist.

6. Didaktische Anregungen

Der Roman bietet eine Fülle von Aspekten, die im Rahmen einer normalen Unterrichtseinheit nicht alle thematisiert werden können. Im Folgenden finden sich einige exemplarische Vorschläge. Darüber hinaus eignet sich das Buch, um damit fächerübergreifend und projektorientiert zu arbeiten. So kann z. B. der Problemkreis Obdachlosigkeit aufgegriffen werden. Die Schüler erfahren an Jeffrey, was es bedeutet, keine „Adresse“ zu haben, und wie es dazu kommen kann. Eine Gruppe von Schülern könnte weiterhin Informationen über Obdachlosigkeit, ihr Ausmaß und ihre Erscheinungsformen in der eigenen Stadt einholen und präsentieren. Ähnlich ließe sich mit anderen Themen wie Analphabetentum oder Straßenkinder verfahren. Zu dem  Roman gibt es ein Unterrichtsmodell im Lehrer-Bereich der Website des Deutschen Taschenbuch Verlags, welches einige interessante Aktivitäten vorschlägt, u. a. zu den Themenkomplexen „Aggression durch Sprache“ und „Ausgrenzung, Außenseiter, Fremde“.

Familienstrukturen
Die Schüler sollten gemeinsam darüber nachdenken, was eine gute Familie ausmacht. Dabei ist Vorsicht angebracht, weil es kaum eine Klasse geben dürfte, in der es keine Kinder mit alleinerziehenden Eltern gibt. Ihnen sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, dass solche Familien von vornherein weniger funktionsfähig sind als solche mit zwei anwesenden Elternteilen. Dass es sich dabei um ein Vorurteil handelt, sollte deutlich herausgestellt werden, zumal dieser Aspekt im Folgenden auch eine Rolle spielt. Im nächsten Schritt werden die Familien Beale, Pickwell und McNab verglichen: Worin unterscheiden und ähneln sie sich? Dies lässt sich in Form eines Diagramms mit sich überschneidenden Kreisen darstellen. Die Übereinstimmungen zwischen den weißen Pickwells und den schwarzen Beales dürften sehr groß sein, die beider Familien mit den weißen McNabs sehr gering. Eine denkbare Aufgabe könnte auch darin bestehen, die Häuser oder Zimmer darin zeichnen zu lassen. Abschließend kann besprochen werden, weshalb sich die Kinder der Familien so unterschiedlich entwickeln und warum die einen zu Rassisten werden und die anderen nicht (s. auch 5.).

Hip-Hop-Projekt
Das Buch vermittelt in gewissem Umfang die „Street“-Atmosphäre einer amerikanischen Großstadt: So gibt es Straßenfeste in der Sommerhitze, Sport, ethnische Gangs, einen prahlerischen Grundton. Für viele Schüler ist es eine motivierende Aufgabe, zu Episoden aus East End, West End und dazwischen Maniac Magee Rap-Texte zu schreiben und diese anschließend einzuüben. Texte deutscher Rapper wie Fettes Brot können als Beispiele dienen, an denen man sich formal orientiert. Zu dieser in Gruppen zu erledigenden Arbeit gehört es auch, zunächst passende Beats zu finden. Viele Schüler haben entsprechende Instrumentalfassungen in ihrer heimischen CD-Sammlung. Bei Interesse der Lerngruppe lassen sich die fertigen Produkte sogar zu eigenen Musikvideos verarbeiten. Für diese wird mithilfe des Romans jeweils ein sogenanntes Storyboard angefertigt, welches dann von der Gruppe umzusetzen ist. Hat eine Klasse am Ende fünf oder sechs Videos gedreht, lassen sie sich leicht zu einer zusammenhängenden „Sendung“ verbinden, die einen Überblick über die Handlung des Romans bietet und der Öffentlichkeit präsentiert werden kann.

Legenden

Eine moderne Legende könnte man definieren als unterhaltsame Geschichte über das wunderbare Wirken einer vorbildlichen Figur, wobei die Grenze zwischen Tatsachen und Erfindung fließend ist. Die Schüler sollten zunächst überprüfen, inwiefern sie es bei East End, West End und dazwischen Maniac Magee mit einer solchen Legende zu tun haben. Als Ausgangspunkt nach vollendeter Lektüre eignet sich insbesondere die Einleitung („Vor der Geschichte“, S. 7 f.), die auch erlaubt, über die Entstehung und Funktion von Legenden nachzudenken. Ferner sollten die Schüler an dieser Stelle dazu angeregt werden, an Beispielen aus dem Roman zu überlegen, wie die Menschen aus Two Mills den eigentlichen Tatsachenkern der Erzählung verändert haben und was der Erzähler selbst möglicherweise dazu beigetragen hat. Eine weitere entscheidende Überlegung zielt darauf, inwieweit eine Geschichte „Wahrheit“ enthalten kann, auch wenn sie es mit den „Tatsachen“ (S. 8) nicht so genau nimmt. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollten auch auf den Schülern bekannte Legenden übertragen werden. Dass es sich bei Jeffrey um einen talentierten Sportler handelt, ist kein Zufall, denn heutige Legenden ranken sich häufig um großartige Taten von Boxern, Tennisspielern oder Fußballern usw. (und nicht wie ursprünglich um die von Heiligen). Es liegt nahe, solche legendären Figuren
zu sammeln (Muhammad Ali, Helmut Rahn usw.) und eventuell von Gruppen kleine Vorträge über sie vorbereiten zu lassen. Dabei kann in jedem Fall darüber nachgedacht werden, warum eine Sportlegende der Welt in Erinnerung geblieben ist; die Gründe dafür beschränken sich keineswegs auf den rein sportlichen Bereich.


 empfohlen von Stefan Munaretto